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Thierno

Mein Name ist Thierno Ndiaye. Ich bin in dem kleinen Dorf Andrame im Senegal geboren. Mein Vater hatte vier Frauen, deswegen habe ich viele Geschwister, aber ich weiß nicht wieviele. Im Alter von fünf Jahren, nach dem Tod meines Vaters, hat mich mein Onkel gezwungen, bei einem Marabout (Koranlehrer) in einer Daara (Koranschule) in der Stadt Touba mit ca. 250 Talibes (Bettelkoranschüler) zu leben. Als ich dort weit weg von meiner Familie angekommen war, habe ich erstmal den ganzen Tag und die ganze Nacht geweint. Alle Kinder haben in einem großen Saal auf dem Boden geschlafen. Es gab keine Betten, keine Matratzen, keine Decken. Es gab nur eine Toilette für alle Kinder und die war immer völlig verdreckt. Ich bin an Cholera erkrankt. Jedes Mal, wenn wir nach nicht einmal fünf Stunden Schlaf aufgestanden sind, hatten wir nicht ausgeschlafen, da uns u.a. die Moskitos ständig gestochen haben. Es gab keine Privatsphäre und es wurde dauernd gestohlen.

Wir mussten vor Sonnenaufgang aufstehen, um dann den Koran auswendig zu lernen, danach mussten wir um Essen und Geld betteln. Es gab einen bestimmten Betrag, den man täglich beim Marabout abgeben mußte. Jedes Mal, wenn etwas fehlte, schlug er einen. Nach dem Betteln ging es weiter mit dem Koranstudium, danach wieder betteln um Essen und Geld. Beim Koranstudium hat man den Koran auf einem Stück Papier oder einer Tafel. Die Tafel legt man auf die Knie, das Stück Papier auf den Boden und dann lernt man nach unten gebeugt. Jeder, der beim Lernen eingeschlafen ist, wurde fest mit einem Stromkabel geschlagen. Ich erinnere mich noch an den ersten Schlag mit dem Stromkabel. Er war so heftig, dass ich im ersten Moment nicht mehr atmen konnte. Bei jedem Schlagen wurde die Haut aufgerissen, Blut ist geflossen. Davon habe ich bis heute Narben auf meinem Rücken. Ich konnte damals mit niemandem darüber reden. Es gab einen Moment, da habe ich, als man mich schlug, kaum noch Schmerz gespürt, so sehr war ich daran gewöhnt.

Nach 6 Jahren bei dem Marabout, habe ich das 1. Mal versucht von dort zu fliehen, um nach Hause zurückzukehren. Ich habe mehr als drei Monate gebraucht, um zu meinem Dorf zurückzufinden. Meine Mutter und mein Onkel haben sich nicht über meine Rückkehr gefreut. Mein Onkel hat mich direkt wieder in die Daara zurückgebracht. Dort wurde ich monatelang mit Ketten an einem Baum festgebunden. Bis heute habe ich davon Narben an meinen Füßen. Nachts wurde ich losgebunden und in einen völlig dunklen Raum gesperrt. Seitdem habe ich Probleme mit den Augen, sie sind meist ganz rot. Ich war nicht mehr ans Licht gewöhnt, deswegen trage ich oft eine schwarze Brille. Einmal hat mir der Marabout eine Eisenstange auf den Kopf geschlagen. Überall lief Blut herunter, am Kopf habe ich davon eine Narbe. Dieses ständige Leiden wird für immer in meinem Gedächtnis bleiben. Jedes Mal, wenn ich an diese „Höllenzeit“ denke, tut es mir im Herzen weh.

Im Jahr 2007, im Alter von 11 Jahren, bin ich nach Kaolak geflohen und habe dort mit anderen Kindern auf der Strasse gelebt. Ich habe lieber auf der Straße gelebt, als wieder in das Elend der Daara zurückzukehren, dort, wo man mich ständig schlägt. Aber ich wusste, dass sie mich überall suchen würden, deshalb bin ich noch weiter weg geflohen in die Hauptstadt vom Senegal, Dakar, und habe dort auf der Straße gelebt und geschlafen (auf dem Bürgersteig, vor einem Haus oder Laden). Schließlich bin ich in eine kriminelle Gang geraten. Ich war der Jüngste in der Gruppe. Sie haben mich zum Stehlen geschickt. Durch meine Gang wurde ich vor den anderen Gangs geschützt. Um Geld für Drogen und Alkohol zu bekommen, haben wir Leute überfallen und ihnen ihr Geld abgenommen. Manchmal haben wir auch „Dilion“ (Indischer Hanf, man nennt ihn im Senegal auch Yamba) gekauft, um ihn als Droge zu verwenden. Wir haben auch mit Drogen gehandelt.

Eines Tages hat mir einer aus meiner Gang von einem Hilfszentrum für Talibes erzählt. Ich bin in ihr Zentrum gegangen und bin fünf Monate dort geblieben. Weil ich keine Papiere hatte, konnte ich nicht in die Schule gehen. Dann haben sie sich an Perspektive Senegal (PS) gewandt und ich habe dort einen Platz bekommen. Ich fühlte mich sofort bei Perspective Senegal in Sicherheit. Ich hatte zum 1. Mal ein eigenes Bett mit Moskitonetz in einem schönen Zimmer und fand endlich genug Schlaf. Es gab ordentliche und saubere Toiletten. Ich bekam gute Kleidung und konnte mich jeden Tag satt essen und waschen. Unter den anderen Jungen, die mit mir bei PS betreut wurden, habe ich gute Freunde gefunden. Sie haben mir sehr geholfen, mich gut in diese Gemeinschaft zu integrieren und den dauerhaften Ausstieg aus einem Leben auf der Straße zu schaffen.

Die guten Freunde von Thierno 2011 bei Perspective Senegal

Da ich, bis ich zu PS kam, nie in eine Schule gegangen war, konnte ich nicht in eine öffentliche Schule gehen. Gott sei Dank gab es bei PS eine interne Basisschule. Dort habe ich u.a. Französisch gelernt. Nachmittags habe ich in der Schuster- und in der Schreinerwerkstatt mitgearbeitet und habe dort handwerkliche Sachen gelernt. Viele der Schuhe, die ich trage, habe ich mir selber hergestellt. Zum 1. Mal hatte ich auch freie Zeit für mich. In meiner Freizeit habe ich Sport gemacht, auf dem Fußballplatz von PS trainiert und gezeichnet. Aktuell arbeite ich im Ausbildungs- und Wohnzentrum (AWZ) bei PS als Betreuer der Jungen im Zentrum. Ich möchte parallel dazu eine Berufsausbildung als Erzieher machen. Das Problem dabei ist, dass ich dafür einen offiziellen Schulabschluss benötige. Deshalb lerne ich gerade für diesen Abschluss und nehme als Externer an den Prüfungen teil.

©Frank Leue
Thierno mit Alexander Schott, dem Gründer von PS, in der Schusterei
©Frank Leue
Die Mitarbeiter mit Familien und den betreuten Jungen im AWZ

Ich will durch meine Ausbildung und meinen Dienst als Erzieher bei PS dazu beitragen, dass viele Kinder die Möglichkeit bekommen, aus einem Leben der Ausbeutung und Schutz- und Lieblosigkeit aussteigen zu können und die gleiche Perspective geboten bekommen, wie ich sie bei PS bekommen habe. Mein Leben heute steht in krassem Gegensatz zu meinem Leben früher. Ich bin den Gründern von PS, Alexander und Christane Schott, den Mitarbeitern und allen Spendern und Förderern von PS sehr dankbar dafür!